Der Wind weht lau an diesem Freitagmorgen. Die Sonne
verheißt einen flirrendwarmen, sommerlichen Tag. Ich nehme den Weg durch den
angrenzenden Park, denn ich möchte an diesem unschuldigen Morgen die
mehrspurige Hauptstraße und das besetzte Haus auf der linken Seite umgehen.
Auf
dem Platz vor dem Park begegne ich einem Obdachlosen. In seiner Wange, seinem
Kinn und seinen Nasenflügeln hat er münzgroße Löcher. Er liegt nicht auf
sondern hinter seiner Stammparkbank auf dem steinigen Boden. Er beobachtet die
vorbeiziehenden Wolkenfelder, doch sein Gesicht sieht man kaum, denn seine
schwarzen Dreadlocks hängen ihm tief ins Gesicht. Trotz der milden Temperaturen
hat er seine dunkle Wollmütze bis zu den Augen heruntergezogen. Auf andere
wirkt er bestimmt ein wenig beängstigend, doch ich sehe ihn tagtäglich und habe
mich an ihn gewöhnt.
by wikimedia |
Ich passiere verschmutzte und mit Graffitis versehene Bänke, an der einen fehlt eine Strebe an der anderen ist das Holz gesplittert. Ich nähere mich dem sandigen Parkausgang und spaziere an den im französischen Café sitzenden und sich entblätternde Croissants essenden Touristen und Hipstern vorbei. Meine Tramhaltestelle ist nur noch wenige Meter entfernt. Laut des kornblumenblauen Himmels und der hochstehenden Sonne sollte ich besser noch einen Abstecher in den Kiosk machen um meinen Durst zu späterer Stunde stillen zu können. Ich folge der Empfehlung der Sommerboten und greife mir eine Literflasche Mineralwasser aus dem summenden Kühlgerät. Ich bezahle und vernehme Tumulte außerhalb des Kiosks. Vor dem Geschäft stehen einige dunkle Tische und Stühle aus Holz. Am Abend tummeln sich hier die Partygänger aus aller Herren Länder um noch ein Bier vor dem Clubbesuch zu trinken oder neue Begleiter für die Nacht zu finden. An einem Morgen wie diesem sitzen hier meist Männer und Frauen, ein paar Jahre älter als im besten Alter, und trinken ihr erstes oder letztes Sternburg für den Tag.
Ich trete aus dem Kiosk und erkenne den Grund für die
Tumulte: ein Sternburg-Trinker im verwaschenen T-Shirt, welches in einer
befleckten Jeans steckt, brüllt einen anderen an, der an einem der Tische sitzt
und leer gen Boden sieht. „Das ist doch widerlich! Wieso machst du das? Spinnst du?
Murat! Komm her! Der Assi hat hier einfach auf den Boden geschifft!“
Unter dem Tisch des Mannes ist ergießt sich ein See, seine
Hand verschließt gerade den Reißverschluss seiner beigen Cargo.
Mit geschwellter Brust, verpackt in einem Ferrari-roten
Shirt, stapft besagter Murat aus Richtung des angrenzenden Döners-Imbisses auf
die Szenerie zu. Seine Arme berühren den Oberkörper nicht, als hätte er O-Arme
statt O-Beine. Mit einem Schlag fegt er die vor dem Missetäter stehende Flasche
Sternburg vom Tisch. Drei Meter im Flug nimmt sie bestimmt, bevor sie mit
klirrender Melodie auf dem Asphalt zerbricht und ihre Scherben zwischen dem
verschütteten Bier ein glitzerndes Mosaik bilden. Ich stehe dort wie erstarrt
und mein Blick wandert zu Murat, der nun wenige Centimeter von dem sitzenden
Mann entfernt steht und ihn mit Schimpfwörtern bedeckt. Ich kann nur noch die
hilflos schauenden Augen des Mannes sehen, welcher scheinbar unter der Decke
aus Hasstiraden völlig in sich zusammensackt. Mitleid kriecht in mir hoch. Wut
kocht in mir auf. Meine eigene Hilflosigkeit in dieser Situation wird mir
bewusst. Ich in Konfrontation zwischen einem betrunkenen, sich kaum noch selbst
helfen könnendem Mann und einem Testosteron-Gorilla reitenden Murat, der das
Schreien gar nicht mehr lässt?
Ich flüchte in die heranfahrende Tram und höre eine weitere
Glasflasche auf dem Gehweg zerschellen.
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